Menschenrechtsbefund 2012

Cyber Hate3 – zügellose Hassbotschaften im nahezu rechtsfreien Raum

Von Claudia Schäfer

Aufrufe zum Völkermord, rassistische Hetze und Rekrutierungsversuche der rechten Szene – all das hat das Internet und insbesondere die sozialen Medien in letzter Zeit in ein fragwürdiges Licht gerückt. Allein die gestiegene Anzahl der gemeldeten rassistischen Postings bei ZARA – Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit gibt Anlass zur Besorgnis: Seit 2009 hat sich die Zahl der Internet-Fälle mehr als verdoppelt und macht derzeit rund 20% aller Fälle aus. Zu fast gleichen Teilen, jeweils einem Fünftel, waren die rassistischen Inhalte im Netz gegen MuslimInnen und JüdInnen gerichtet. So auch das letzte, öffentlich diskutierte Beispiel für Rassismus im Netz: die antisemitisch modifizierte Karikatur auf der Facebook-Seite des FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache, die laut Der Standard fast 600-mal auf Facebook geteilt wurde. Einmal „geshared“, also geteilt, bleiben Inhalte wie diese, selbst wenn sie von den ursprünglichen Seiten entfernt wurden, oft jahrelang im so genannten Cyberspace. Das gefährliche daran: Hassbotschaften im Netz können sich nicht nur negativ etwa auf die Einstellung von Jugendlichen auswirken, sondern auch, wie das Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa warnt, rassistisch motivierte Gewalt in der Realität provozieren. Dabei verbreiten sich Meinungen und Inhalte im Netz rasant, die Anzahl der Personen, die erreicht werden, potenziert sich beispielsweise in sozialen Netzwerken um ein vielfaches, sobald Inhalte geteilt werden. Zusätzlich bieten die Web 2.0 Applikationen wie youtube ihren NutzerInnen relativ freie Möglichkeiten der Partizipation und Teilhabe im Sinne von Informationsverbreitung und -beschaffung, Kommunikation sowie Meinungsäußerung. Nach Angaben des Austrian Internet Monitor verfügen 80% aller Haushalte über einen Internetzugang, die Hälfte der NutzerInnen ist in sozialen Netzwerken aktiv, Jugendliche sogar fast zu 100 Prozent. Facebook und twitter sind dabei mit 2.844.900 und 95.117 UserInnen die meist genutzten Social Media Portale in Österreich (Social Media Radar Austria, Stand 26.11.2012).
3 cyber hate bedeutet das Verbreiten beleidigender, verhetzender und bedrohender Inhalte im Inter-net.

Die Verbreitung rassistischer und verhetzender Inhalte im Internet sowie Belästigung und Diffamierung im Internet, auch bekannt als Cyber Mobbing oder Cyber Bullying – stellt UserInnen und deren Umfeld sowie institutionelle AkteurInnen vor neue Herausforderungen. Völlig ungeklärt ist beispielsweise, wer für den Schutz und die Einhaltung von Menschenrechten wie zum Beispiel dem Recht auf Nicht-Diskriminierung oder dem Schutz der Würde des Menschen im Internet zuständig ist. Derzeit scheint es, als würde diese Aufgabe vornehmlich den SeitenbetreiberInnen und InternetproviderInnen zugesprochen. Internationale Organisationen und Institutionen versuchen, Policies zu entwickeln und auf nationalstaatlicher Ebene zu verankern, scheitern jedoch mit ihren Bemühungen am Widerstand nationaler Regierungen.
Damit wird der Ruf nach geeigneten Maßnahmen als Reaktion auf Cyber Hate wie der Sensibilisierung und Anti-Diskriminierungs-Arbeit, insbesondere unter dem Aspekt von Jugendschutz, lauter. Medienpädagogik gewinnt zwar, u. a. an österreichischen Schulen, an Bedeutung. Nichts desto trotz scheinen vor allem Jugendliche eher schlecht darauf vorbereitet sein, problematische Inhalte im Netz zu erkennen und entsprechend reagieren zu können. Zwar kennen sich Jugendliche oftmals besser mit den technischen Möglichkeiten des Internet aus, haben aber nach Einschätzung von Lehrenden laut einer Umfrage von saferinternet (http://saferinternet.at) große Defizite bei der kritischen Reflexion und Beurteilung von Risiken.
Dies ist insofern besonders problematisch als Blogs, Tweets und Einträge in Foren, die auf eine rechtsextreme Gesinnung schließen lassen, in den letzten Jahren auffällig zugenommen haben. In Internetportalen sowie Online Communities wie z. B. youtube, facebook oder SchülerVz sind jedoch überwiegend Teile der jüngeren und minderjährigen Bevölkerung aktiv und somit zielgerichtet und schnell über diese Plattformen erreichbar. Um SympathisantInnen zu rekrutieren und politische Stimmung zu erzeugen, werden beispielsweise Hassbot-schaften und rechtsextremes Gedankengut als objektive Realitäten und moderate Gesell-schaftskritik getarnt – dahinter verbergen sich jedoch zumeist ausgrenzende und diskriminierende Aussagen und rassistische Weltbilder. Ferner dient der Ruf nach uneingeschränkter Meinungsfreiheit im Internet häufig als Rechtfertigungsgrundlage zur Verbreitung beleidigender und rassistischer Messages im Internet. Das International Network Against Cyber Hate, kurz INACH, das sich für die Bekämpfung von Diskriminierung und Rassismus im Internet einsetzt, vertritt deshalb die Position, dass jene Gesetze und Bestimmungen die in der „offline-Welt“ zur Anwendung kommen, auch online gelten müssen. Als österreichisches Netzwerkmitglied von INACH unterstützt ZARA seit 2007 die Bestrebungen des Netzwerks bei der Durchsetzung von Menschenrechten im Internet sowie der Bekämpfung von Cyber Hate. In diesem Sinn baute ZARA bereits 2010 mit der Organisation der INACH-Konferenz zum Thema „modern times, new networking, youth, hate and web 2.0“ in der Wiener Hof-burg seinen Schwerpunkt zu den Thematiken Cyber Hate und Jugendschutz aus. Was den rechtlichen Rahmen betrifft, so ist die Handhabe gegen rassistische Inhalte in Österreich beschränkt. Generell unterliegt das Internet keinen weltweit geltenden Gesetzen. Auf nationaler Ebene sind deshalb meist nur jene Gesetze anwendbar, die auch in offline-Kontexten gelten. Die Verfolgung von PosterInnen rassistischer Inhalte setzt daher voraus, dass deren Vorgehen oder Äußerungen nach nationalem Recht strafbar sind (in Österreich beispielsweise wegen Verhetzung oder Verstößen gegen das NS-Verbotsgesetz). Bei rechtlich nicht relevanten aber trotzdem rassistisch hetzenden Inhalten hängt es im Wesentlichen vom good will und den Nutzungsbedingungen der SeitenbetreiberInnen ab, ob eine Löschung erfolgt oder nicht. Die Sicherheitsbehörden sind darüber hinaus zunehmend mit dem Problem unüberschaubarer Mengen offen zugänglicher einschlägiger Inhalte konfrontiert, die eine intensive und laufende Kontrolle von Internetaktivitäten de facto nicht möglich machen. ZARA erachtet deshalb die internationale Kooperation bei der Bekämpfung von Cyber Hate im Rahmen des INACH‐Netzwerks sowie die Zusammenarbeit mit nationalen Providern und MedienbetreiberInnen als unerlässlich. Als österreichisches Mitglied des International Network Against Cyber Hate hat ZARA 2011 mit seinen NetzwerkpartnerInnen die sogenannte „Internet Common Values Charter“ ausgearbeitet, die sich insbesondere an BetreiberInnen von Onlineforen, Social Media-Plattformen sowie InternetproviderInnen richtet und für einen Diskriminierungs- und Rassismus-freien Umgang im Internet appelliert. UnterzeichnerInnen bekennen sich zu den Grundsätzen der Charta und verpflichten sich dazu, Rassismus im Internet demgemäß zu unterbinden.
Aufgrund der schwierigen Lage, gegen Cyber Hate vorzugehen, erachtet ZARA insbesondere Aufklärungs‐ und Präventionsarbeit als sinnvoll, um die Gefahren, die von Cyber Hate ausgehen, zu minimieren sowie Kompetenzen für einen selbstbestimmten, sicheren und verantwortungsbewussten Umgang mit dem Internet und seinen Anwendungen zu verstärken. In diesem Sinn wird ZARA sein Trainingsangebot um das Modul „(Anti)-Cyber Hate“ erweitern. Dies beinhaltet die Stärkung der Kompetenzen künftiger (Anti)-Cyber Hate-TrainerInnen bezüglich der Strukturen, Kommunikationswege und ‐möglichkeiten des Internet sowie insbesondere der Social Media mit einem Schwerpunkt auf dort aufscheinende rassistische und verhetzende Inhalte, dem Erkennen von (getarnten) Botschaften, Ködern und Rekrutierungsversuchen der rechten Szene bzw. xenophober Gruppen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung bzw. Adaptierung von Methoden und Tools, die für die Zielgruppen Jugendliche und PädagogInnen/ JugendarbeiterInnen geeignet sind. Die Relevanz der Auseinandersetzung mit der Thematik Cyber Hate auf pädagogischer Ebene liegt nicht zuletzt darin, Jugendlichen durch Sensibilisierung und Kompetenzvermittlung deutlich zu machen, dass rassistische Inhalte, Beleidigungen und Verhetzung im Internet schwerwiegende Konsequenzen für das Leben betroffener Personen bzw. Gruppen haben können. Dies ist umso relevanter, als Inhalte in Sozialen Medien, Internetforen und Newsfo-ren durch die vorhandene Anonymität und den Einsatz falscher Online-Identitäten mitunter viel direkter, polarisierender, radikaler und gewaltvoller geäußert werden. Claudia Schäfer ist Geschäftsführerin und Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit von ZARA – Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit. Die studierteJournalistin war jahrelang als Print- und Hörfunkjournalistin u.a. für den ORF und andere Medien im deutschsprachigen Raum tätig. Als Mit-Initiatorin der„Anti-Rassismus-Kampagne“ auf Radio FM4 wurde sie im EU-Jahr gegen Rassismus mit einem Sonderpreis ausgezeichnet.

Quelle

Menschenrechtsbefund. (2012). URL: http://www.liga.or.at/wp-content/uploads/korr2_Menschenrechtsbefund2012final.pdf [04.01.2013].

Dieser Beitrag wurde unter Menschenrechtsbefund 2012 abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort zu Menschenrechtsbefund 2012

  1. Greenhorn schreibt:

    Und 2013 hat sich nichts geändert!
    Link zum Menschenrechtsbefund 2013:

    Klicke, um auf MRB-2013-digi_final.pdf zuzugreifen

Hinterlasse einen Kommentar